Anna Gutknecht ist 99 Jahre alt und hat sich für den kommenden 100. Geburtstag selbst ein ganz besonderes Geschenk bereitet. Ein Helikopterflug über die alte Heimat und die Berner Alpen sollte es sein. Diesem Herzenswunsch liegt eine berührende Geschichte zugrunde. Als Kind geschah ihr als sogenanntes Verdingkind grosses Unrecht und sie musste ohne ihre Familie aufwachsen. Für Menschen wie Anna Gutknecht steht eine finanzielle Hilfe zur Wiedergutmachung der erlittenen Umstände zu, allerdings werden solche schriftlichen Gesuche nur noch bis zum 31. März 2018 angenommen, dann endet diese Initiative. Für viele mag diese Möglichkeit zu spät kommen, für Frau Gutknecht aber zum rechten Zeitpunkt. Mit der Leichtigkeit des Helikopterfliegens gewährt sie einen Rückblick auf ein bewegtes und tragisches Leben.
Als die rüstige Dame im Helikopter ihren Platz einnimmt, winkt Sie ihren Begleitern einen freudigen Abschiedsgruss zu. Der Überflug über Grindewald ist etwas ganz Besonderes. Mit neun Jahren muss
sie ihre Heimat verlassen aber bereits vier Jahre zuvor nimmt das Leid seinen Lauf. Das kleine Mädchen Anna ist gerade fünf Jahre alt, als sie, ihre vier Brüder und die Mutter den Tod des Vaters
verarbeiten müssen. Dieser Verlust führt später zur Trennung der Familie, Anna wird während eines vermeintlichen Ausflugs einem fremden Mann übergeben, hier sieht sie Ihre Mutter zum letzten
Mal.
Verdingkinder hatten keine normale und behütete Kindheit
Der kleine Ort Grindelwald in den Berner Alpen hat sich verändert. Frau Gutknecht sieht aus dem Helikopter und blickt auf Ihre Geschichte zurück. Früher war es nicht unüblich, dass Familien voneinander getrennt und Kinder in fremde „Obhut“ abgegeben wurden. Die kleine Anna kommt zu einer Pflegefamilie, die in Beinwil lebt. Solchen abgegeben Kindern haftet oft ein gemeinsames Schicksal und eine dunkle Kindheit an. Liebe erfuhren sie selten, dafür Ablehnung, seelisches und körperliches Leid. Arbeit und schwere Schläge gingen mit dieser Lebenszeit einher.
Anstatt sorgsamen und sich sorgenden Eltern erfuhr Anna nur die Ablehnung des Vormunds. So wurde ihr die ersehnte Ausbildung als Schneiderin verwehrt, die Aufgaben im Haushalt wie Waschen und Bügeln sollten für sie genügen. Die Aussicht aus dem Helikopter zeigt eine ungewöhnliche Perspektive auf die Zeit. Die Vergangenheit und damit die Erinnerungen sind nach wie vor präsent aber der Ort, wie auch das Leben von Anna Gutknecht haben sich verändert, beides ist gewachsen.
Zwei Ehen hat Anna erlebt, die erste Bindung war nur kurz aber aus dieser Ehe ging Annas Tochter hervorg, mit der sie nach der Scheidung nach Bern zurückkehrte und als Wäscherin hart arbeitete.
Die zweite Ehe hält 28 Jahre. Inzwischen lebt Frau Gutknecht in einem Altersheim und hat dort auch Kontakt zu anderen ehemaligen Verding- und Heimkindern. Die Geschichten der Menschen ähneln
sich, die Kinder wurden von den Eltern und Familien getrennt und in fremden Familien fremd platziert oder in Heime abgegeben.
Das Recht auf Wiedergutmachung ist gemessen am zugefügten Leid, nur ein symbolischer finanzieller Beitrag aber dennoch für viele eine wichtige Anerkennung des ihnen erfahrenen Unrechts.
Erst durch die Ermutigung eines Leidensgenossen geht Anna Gutknecht den Weg den ihr zustehenden Solidaritätsbeitrag zu fordern. Auf bis zu 25000 Franken bemisst sich die finanzielle
Wiedergutmachung, wobei sich auch der Bundesrat klar ist, dass mit diesem Beitrag keine wirkliche Wiedergutmachung zu erreichen ist. Es ist aber eine offizielle Anerkennung des Unrechts aus der
Vergangenheit.
Der Unternehmer Guido Fluri hat mit seiner Stiftung, die Wiedergutmachungsinitiative ins Leben gerufen. Im April 2017 startete diese Initiative und sie endet mit Ablauf März 2018. Schätzungsweise 12000 bis 15000 ehemalige Verdingkinder leben noch und haben Anrecht auf den Solidaritätsbeitrag. Bis Oktober 2017 gab es allerdings erst 3550 eingereichte Gesuche. Die Angst vor dem grossen Aufwand und dem Ausfüllen des Antrages schreckt viele ältere Menschen zurück, anderen ist diese Zuwendung unangenehm.
Die Guido Fluri Stiftung setzt sich unter anderem für ehemalige Verdingkinder ein, die bis in das Jahr 1981 zum Teil schwere Misshandlungen und Missbrauch erfahren mussten. Auf der Homepage der Stiftung informiert die Stiftung von den schlimmen Fremdplatzierungen und fürsorglichen Zwangsmassnahmen. Darunter fallen auch Zwangssterilisierungen, Abtreibungen und Adoptionen. Innerhalb von acht Monaten sammelte die Stiftung über 110000 beglaubigte Unterschriften ein, die im Jahr 2014 an die Schweizer Bundeskanzlei übergeben wurden.
Anna Gutknecht steht auf Aktion-TV-Serie mit Rettungshelikoptern
Im Alter von fast 100 Jahren fällt der betagten Dame das Gehen schwer und sie nimmt beim Betreten des Helikopters die Hilfe ihrer Begleitung gerne an. Der grosse Wunsch vom Fliegen liegt für Anna Gutknecht sehr nahe, schliesslich geht es in ihrer Lieblings-TV-Serie „Die Bergretter“ auch um die Einsätze von Helikoptern. Während des 30-minütigen Fluges ging es nicht nur über die Heimat Grindewald, sondern auch zu einem luftigen Zwischenhalt auf dem schneebedeckten Kandarfin.
Helikopterrundflüge sind oft eine Herzensangelegenheit und für viele Menschen geht damit ein lang ersehnter Traum in Erfüllung. Mit dem Überfliegen von Landschaften und Orten stellt sich ein besonderes Gefühl ein. Wie auch im Fall von Anna Gutknecht, die mit ihrer ergreifenden Geschichte die Herzen höher schlagen lässt.
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Kathrin (Sonntag, 01 April 2018 13:15)
Habe diese, sehr liebe Frau sehr lange betreut! Sie ist ein Schatz mit grossem Herzen.
Brunner Christoph (Sonntag, 01 April 2018 17:25)
Ich bin ein Helifan und durfte ab und wann mit meinem Vater fliegen (Fläche und Helikopter). Leider reicht es mir nicht zur Prüfung als Pilot aber es ist immer wieder ein sehr schönes Erlebniss.
Hansi Hinterseher (Montag, 02 April 2018)
Wo befindet sich dieser super flotte Heliport eigentlich
Hilda lörtscher Jenni. (Mittwoch, 04 April 2018 17:04)
Ich kenne die Anna auch sehr gut. Sie war die Gotte . meiner Schwester Marianne. Es freut mich sehr. Das sie dieses geschenk . noch erleben durfte .�